Die Wahlen stecken uns noch in den Knochen und den einen wohl auch auf den Hüften: Wann sonst kann man so viele «Schöggeli», «Spitzbuebe» und Gipfeli schmausen. Der Wahlkampf war intensiv und er hat uns wieder näher an die Wählerinnen und Wähler gebracht. Er hat jedoch auch Gräben innerhalb des Freisinns offengelegt, mit denen wir uns nicht immer gerne auseinandersetzen.

Das Wahlresultat der FDP.Die Liberalen lässt einen einerseits aufatmen, andererseits auch etwas frustriert zurück. Was wäre möglich gewesen, wenn? Keine Nachbefragung wird uns diese Fragen beantworten können. Nach dem Hoch des Wahlkampfs, sollten wir als Freisinnige uns jedoch nicht in einem Vakuum des «nun haben wir vier Jahre Ruhe» zurücklehnen. Die Gräben, die wir selbst sehen, müssen angegangen werden.

Das omnipräsente Klimathema im Wahlkampf offenbarte nicht nur, was viele im letzten Jahr verschlafen hatten. Es offenbarte auch, dass dessen Lösungsansätze einen Graben quer durch das freisinnige Lager zogen. Der Grand Canyon der Freisinnigen sozusagen. Wie haben wir das gelöst? Wenig elegant. Zwar haben wir ein Positionspapier verabschiedet, aber Papier nimmt ja bekanntlich alles an. Es war wichtig und richtig, uns in diesem Thema zu positionieren, das steht ausser Frage. Doch unser Grand Canyon hat eines offenbart: Wie wir im Freisinn heute funktionieren. Es wird kommuniziert – und dann überall hektisch reagiert.

Doch ist eine top-down-Politik das, wofür der Freisinn stehen will? Am Freisinn schätzt man, dass er Kompromisse sucht. Dass er sich nicht ins Rampenlicht drängen muss. Dass einzelne Exponenten Charakter haben und nicht im Sumpf einer Partei mitschwimmen, ohne Profil und Kanten. Doch genau das wurde von uns im Wahlkampf erwartet: Einheit. Aber es sind doch genau diese Ecken und Kanten, dieses Profil jedes einzelnen von uns. Dass dies nicht so geeint ist, wie in anderen Parteien, spricht uns ja aus der freisinnigen Seele: Freiheit des Einzelnen und Akzeptanz jeder Meinung. Das führt aber auch dazu, dass für uns in einigen Themen mehr Redebedarf besteht. Mehr Respekt vor anderen, internen Meinungen. Mehr zuhören, mehr akzeptieren. Und dann als Partei auch das Rückgrat haben, hinzustehen und zu sagen: Wir als Freisinn haben keine einheitliche Meinung. Und wisst ihr warum? Weil wir kein Einheitsbrei sind. Uns eint die Forderung nach mehr Freiheit und weniger Staat. Aber nicht in jedem Thema können wir eine einheitliche Linie erzwingen.

Hier ist es dann eben nötig, keine Schönwetter-Politiker zu haben, sondern Exponenten mit Charakter, Profil und Engagement. Kurz: Exponenten mit Glaubwürdigkeit, die eben keine Windfahnen sind. Eine top-down-Politik kann also in unserer Partei nicht funktionieren, weil der Begriff «liberal» zu Recht einzelne Köpfe fördert und keine homogene Politikermasse. Was ist also das Problem? Nicht der Grand Canyon der Freisinnigen, sondern das Bewirtschaften desjenigen. Je mehr wir unsere Mitglieder auf eine Linie zwingen, desto mehr Beachtung wird dem Graben geschenkt, da zu Recht Unmut kundgetan wird. Und viele Exponenten schlichtweg damit nicht mehr glaubwürdig wirken. Würden wir Mut zur Lücke beweisen, und damit hervorheben, dass der Freisinn mehr ist als ein blosses Parteiprogramm oder Positionspapier, könnten wir damit an Glaubwürdigkeit und Integrität gewinnen.

Dass eine staatstragende Partei Vorstellungen von Lösungsansätzen für alle Themen braucht, ist klar. Es ist aber absolut legitim, dass auch eine staatstragende Partei nicht in allen Themen federführend sein muss. Die kommenden vier Jahre sollten wir uns auf unsere Stärken fokussieren. Wir müssen uns nicht dafür schämen, dass wir nunmal der Freisinn sind und keine Grünliberalen. Wir müssen uns für keine unserer Ansätze schämen! Wir können stolz sein darauf, was der Freisinn erreicht hat. Und wir können stolz darauf sein, dass wir keine «Parteiplapperi» sind, sondern Exponenten mit Ecken und Kanten. Dreht das Schiff jedes Mal, wenn der Wind es tut, kommt es nie im Hafen an. Daran sollten wir uns stets erinnern.

Gioia Porlezza
Vizepräsidentin Jungfreisinnige Winterthur (2019)